Process Maturity im Mittelstand: Experteninterview mit TMG-CEO Darya van de Sandt-Nassehi

Geschrieben von Vivecca Frank | 5 Min. Lesedauer
Veröffentlicht am: 28. Mai 2020 - Letzte Änderung am: November 13th, 2020
Process Maturity - TMG-Studie_Tablet mit Tortendiagrammen

In unserem aktuellen Interview spricht TMG-CEO Darya van de Sandt-Nassehi über konkrete Handlungsempfehlungen, die sich aus unserer gemeinsamen Studie ableiten lassen. Zudem diskutieren wir über die Zukunftsaussichten des Mittelstandes in der DACH-Region.

Wo steht der produzierende Mittelstand aktuell beim Thema Process Maturity?

Gemeinsam mit Prozessmanagement-Experten der TMG sind wir dieser Frage in einer groß angelegten Studie auf den Grund gegangen. Zur vollständigen Studie geht es hier.

Was hat Sie zur Durchführung der Studie motiviert?

Darya van de Sandt-Nassehi: Bei der Arbeit mit mittelständischen Unternehmen stoßen wir häufig auf die gleichen Muster: lange Durchlaufzeiten bei wenig Flexibilität und Reaktionsfähigkeit am Markt. Durch ihre ineffizienten Prozesse verlieren die betroffenen Organisationen nicht selten Geld im sechs- oder siebenstelligen Bereich. Daher haben wir uns gemeinsam mit Signavio dazu entschlossen, das Thema “BPM-Reifegrad” in Form einer Studie messbar und objektivierbar zu machen.  

Weshalb lohnt sich die Ermittlung des BPM-Reifegrads für Mittelständler?

D.v.d.S.N: Wer seinen BPM-Reifegrad kennt, kann verstehen, wie gut die eigene Organisation durch Ihre Prozesse Kunden und Märkte bedient. Gleichzeitig sieht man, an welchen Stellen Reibungsverluste entstehen. Daraus lassen sich wiederum Hebel ableiten, mit deren Hilfe sowohl Quick Wins im Geschäftsprozessmanagement als auch eine langfristige Stabilisierung der Prozesslandschaft erreicht werden können.

Wie hat sich die Situation für Mittelständler in den vergangenen Jahren gewandelt?

D.v.d.S.N: Zu den zentralen Herausforderungen für Mittelständler gehören heute die zunehmende Komplexität und Marktdynamik – ausgelöst durch Globalisierung und Digitalisierung. Angesichts der großen Zahl an Einflussfaktoren, wie etwa der Abhängigkeit von globalen Wertstromketten und dem Wunsch nach individuellen Lösungen seitens der Kunden, müssen kleine und mittlere Unternehmen deutlicher schneller und agiler sein, um langfristig am Markt bestehen zu können. 

Welche Auswirkungen hat das Coronavirus auf den deutschsprachigen Mittelstand?

D.v.d.S.N: Im Angesicht der Coronakrise müssen sich Unternehmen damit befassen, wie sie trotz extremer äußerer Einflüsse stabil und resilient arbeiten und somit den wirtschaftlichen Shutdown sowie das anschließende Ramp-up überstehen können. Hierzu gehört auch das Beantworten von folgenden Fragen: Wie sichern wir unsere Lieferketten und unsere Produktionsfähigkeit? Wie müssen wir unser Portfolio an die aktuellen Veränderungen anpassen? Die Auseinandersetzung mit dem Coronavirus lässt andere Herausforderungen aber nicht verschwinden. All das sind Themen, die man durch effizientes Prozessmanagement transparent durchleuchten und in den Griff bekommen kann. 

Wie wichtig ist die Steigerung der Process Maturity im Zuge der Coronakrise?

D.v.d.S.N: Je höher der Reifegrad meiner Prozesse, desto krisenfester sind die Abläufe innerhalb meiner Organisation. Die Steigerung der Process Maturity ist also gerade in Krisenzeiten eine wichtige Stütze für Unternehmen. Hier sollten wir zwischen objektiv und subjektiv wahrgenommener Erhöhung der Process Maturity unterscheiden: Eine objektive Erhöhung setzt voraus, dass ich die Grundlage zur Prozessbewertung geschaffen habe. Eine subjektive Erhöhung der Process Maturity basiert hingegen auf den neu gewonnenen Erkenntnissen über die Virtualisierung von Zusammenarbeit in einem Unternehmen. Der unternehmerische Alltag nach Corona wird ganz stark von der Umsetzung dieser Erkenntnisse profitieren.  

In der Studie sprechen einige Teilnehmer vom “BPM-Freestyle” ihrer Organisationen – wie etabliert ist das Thema Prozessmanagement im deutschsprachigen Mittelstand?

D.v.d.S.N: Durch unseren Beratungsalltag wissen wir, dass das Bewusstsein für die Bedeutung effizienter Prozesse in vielen Führungsetagen groß ist. Allerdings werden bei der Umsetzung die Mitarbeiter häufig nicht mitgenommen. Dadurch fehlt es am entsprechenden Bewusstsein und der passenden Prozesskultur in den einzelnen Abteilungen. Zudem existieren immer wieder unterschiedliche Ausprägungsstufen von Prozessmanagement innerhalb einer Organisation. 

Wie lebt der deutschsprachige Mittelstand Prozessmanagement in der Praxis und wo sehen Sie die größten Defizite?

D.v.d.S.N: In unserer Studie haben wir die folgenden Dimensionen betrachtet: Strategie, Kultur, Organisation und Prozesslandschaft sowie Governance, Controlling und Tooling. Die Studienergebnisse machen deutlich, dass die ersten vier genannten Dimensionen und damit die Basis des Prozessmanagements robust im Mittelstand verankert sind. Die größten Defizite sehen wir in den Bereichen optimales Empowerment der Mitarbeiter, Transparenz im Tagesgeschäft und Harmonisierung von Schnittstellen in der Organisation und im Prozessablauf. 

Je größer das Unternehmen, desto schwächer ist laut Studie die Ausprägung des BPM-Reifegrades – woran liegt das und wie können Unternehmen gegensteuern?

D.v.d.S.N: Mit zunehmender Größe gewinnt jedes Unternehmen an organisationaler Komplexität. Im Alltag werden Prozesse vernetzter und verstrickter gelebt. Auch die Kommunikation untereinander ist aufwändiger. Daraus ergeben sich deutlich mehr Schnittstellen in der Prozesswelt der jeweiligen Organisation. Wenn diese Schnittstellen nicht sauber ausdefiniert sind, funktionieren die Übergaben innerhalb eines Prozesses nicht. Wer diese Komplexität reduzieren möchte, braucht ein solides Basis-Framework für seine Prozesse, das punktuell individualisiert werden kann. 

Von starker Zustimmung bis zu vollständiger Ablehnung: Laut Studie fällt die Bewertung von digitalen Prozessmanagement-Tools sehr unterschiedlich aus. Woran liegt das?

D.v.d.S.N: Unsere Studienergebnisse zeigen, dass die Bewertung vom jeweiligen Tool abhängt. Tools, die einfach nur dem Erfassen einer Prozesswelt dienen, erfahren häufig eine höhere Ablehnung als Anwendungen, die über das klassische Dokumentieren von Prozessen hinausgehen. Ein klassisches Dokumentationstool bietet Unternehmen nicht die Möglichkeit, Ergebnisse auszutauschen und auszuwerten. Daher kann es die jeweilige Organisation auch nicht dabei unterstützen, die Prozesslandschaft in der Organisation zu verankern. 

Worauf sollten Mittelständler bei der Auswahl des passenden Prozessmanagement-Tools achten?

D.v.d.S.N: Hier gibt es aus unserer Sicht mehrere Fragen, die sich Organisationen stellen sollten: Hat das jeweilige Tool das Potenzial, die Mitarbeiter im Arbeitsalltag zu begeistern und zu entlasten? Bietet es die Möglichkeit, alle Facetten des Geschäftsprozessmanagements abzubilden? Kann uns das Tool Innovationen liefern, die die Weiterentwicklung unserer Prozesslandschaft fördern?

Welche konkreten Handlungsempfehlungen leiten Sie aus der Studie für Mittelständler ab? 

D.v.d.S.N: Aus unserer Studie leiten wir vier Bereiche ab, in denen sich die betroffenen Unternehmen verbessern können:

  • Harmonisieren Sie Ihre Schnittstellen: Schnittstellen sind die klassischen Reibungsbringer in jeder Prozesslandschaft – sowohl in der Aufbau- als auch in der Ablauforganisation. 
  • Sehen Sie Kollaboration als einen Schlüsselfaktor: Wenn ich meine Mitarbeiter nicht aktiv dazu einlade, in der Prozesswelt zu arbeiten und sie zu optimieren, erreiche ich nie die Akzeptanz und Prozessintegration, die ich brauche, um Prozesse effizient, schnell und flächendeckend zu betreiben.
  • Haben Sie keine Angst vor neuer Prozesstechnologie: Natürlich ist die Nutzung von neuen Technologien wie etwa Process Mining mit Aufwand verbunden – dementsprechend groß sind jedoch auch deren Hebelwirkungen. 
  • Verankern Sie datenbasiertes Prozesscontrolling in Ihrem Unternehmen: So erhalten Sie einen guten Indikator für die Leistungsfähigkeit Ihrer Geschäftsprozesse und damit für die Leistungsfähigkeit Ihrer Organisation.

Wie sieht ein optimales Prozessunternehmen im Jahr 2020 aus?

D.v.d.S.N: Ein optimales Prozessunternehmen verfügt zum einen über verbindliche Geschäftsprozesse, die als dynamische Leitlinien fungieren. Dynamisch deshalb, weil sich Geschäftsprozesse am aktuellen Markt und damit an Kundenbedürfnissen oder bei internen Prozessen an den Mitarbeitern orientieren sollten. Zum anderen verbessert ein solches Unternehmen seine Prozesse kontinuierlich unter Einbeziehung der Erfahrung und Kompetenz seiner Mitarbeiter. Ein optimales Prozessunternehmen ist außerdem auch ehrlich zu sich selbst und schafft Transparenz über die eigene Leistungsfähigkeit. 

BPM-Reifegrad 2020 erfolgreich steigern

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Veröffentlicht am: 28. Mai 2020 - Letzte Änderung am: November 13th, 2020